Ganz oft stoßen wir an selbst erbaute Grenzen, die uns daran hindern dort hin zu kommen, wo es anfängt spannend zu werden und Spaß zu machen. Wir erlauben uns viel zu oft nicht an den Ort zu gehen, wo wirkliche Begegnung stattfindet. Wo Lebendigkeit ist. Diese Grenze ist keine organische Grenze, sie ist eine erlernte. Sie stammt aus der Kindheit, und sie musste gezogen werden, um das eigene Überleben zu sichern.

Mittlerweile sind diese Kinder längst groß geworden. Sie haben gelernt für sich selbst zu sorgen, sind unabhängig und flügge geworden. Aber die Grenze haben sie mitgenommen. Sie existiert immer noch. Sie ist ein stiller Begleiter, ganz leise und im Hintergrund. Und sie ist so gewohnt, dass sie unsichtbar geworden ist.

Man könnte fast sagen, sie ist zu einem Teil des Selbst geworden. Wie Bäume, die zu dicht an einem Zaun stehen, und die im Laufe der Zeit über den Zaun hinweg wachsen, ihn in sich aufnehmen, und damit untrennbar mit dem Zaun verbunden sind.

Das tückische an diesem Zaun ist, dass er unsichtbar ist, solange er nicht Bewusst ist. Und, dass er eine innere Barriere errichtet, die verhindert, dass dieser Mensch lebendig sein kann. Immer wenn das Erwachsene Kind mit geöffneten Armen auf das Leben zuläuft, prallt es irgendwann gegen diese unsichtbare Grenze. Die ehemals lebensrettende Grenze wird zum Gefängnis.

Anders als beim Baum, aus dem der eingewachsene Zaun nicht mehr herauszubekommen ist, lässt sich beim Menschen jedoch an dieser unsichtbaren Grenze arbeiten. Sie lässt sich sichtbar machen, und auch spürbar. Und hier wird die Sehnsucht zu einem hilfreichen Begleiter. Traue ich mich die Sehnsucht nach dem Leben und der Lebendigkeit zu spüren? Traue ich mich die Sehnsucht nach Kontakt, Nähe und Berührung zu zulassen? Bin ich bereit die Traurigkeit und den Schmerz zu fühlen, der unweigerlich damit verbunden ist, besonders wenn ich in der Vergangenheit schmerzhafte Erfahrungen gemacht habe? Dies ist die Chance aus dem Gefängnis auszubrechen!

In dem ich die Sehnsucht und den damit verbundenen Schmerz zulasse, kann sie zu meinem Wegweiser werden. Kann sie mir zeigen was mir fehlt und was ich mir wünsche, und hilft mir den nötigen Mut aufzubringen, diesen Weg zu gehen. Mich hervorzuwagen und meine Komfortzone zu verlassen. Sie hinter mir zu lassen und die Weite des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten zu erkunden. Freiheit. Abenteuer und Lebendigkeit. So schmerzhaft der Kontakt mit der Sehnsucht auch sein mag. Sie zu fühlen ist ein erster Schritt in die Freiheit, denn in der Sehnsucht ist bereits alles da, was wir uns wünschen!

Aber oft schieben wir die Sehnsucht weg, denn die Sehnsucht trägt beide Seiten in sich: Die Seite, dass sie mir zeigt, was ich in meinem Leben haben möchte und die Seite, dass sie mir wie ein Spiegel vorhält, was mir fehlt und was ich (vermeintlich) nicht haben kann. Wenn ich den Fokus auf letzteres richte, dann ist die Sehnsucht mit soviel Schmerz verbunden, dass ich versucht bin beides wegzuschieben. Weit weg. So weit weg, dass es sich für die Seele unerreichbar anfühlt und ich davon ablasse, um weder Schmerz noch Sehnsucht spüren zu müssen.

Dabei spüre ich sehr genau die Lebendigkeit und Lebenslust, die in der Sehnsucht steckt. Und mein Verstand will mich sicher wissen und sucht nach allen nur auffindbaren Argumenten, um mich hier, in meiner sicheren, wenn auch langweiligen und meist vorausschaubaren Komfortzone zu halten. Hier kenne ich mich aus. Ich weiß wie was funktioniert und ich kenne die meisten Handgriffe im Schlaf.

Paulo Coelho hat mal gesagt: “If you think adventure is dangerous, try routine. It’s lethal”. (Wenn du glaubst, dass Abenteuer gefährlich ist, dann versuche es mal mit Routine, sie ist tödlich.) Mit tödlich ist das leblose gemeint. Ein Leben ohne Lebendigkeit. Ist das der Preis, den wir dafür zahlen wollen?

An dieser Stelle möchte ich auch Peter Levine, den Begründer des Somatic Experiencing, nochmal zitieren:

„Für unsere geistig-körperliche Gesundheit ist es unverzichtbar, dass das Nervensystem und die Psyche bereit sind, sich Herausforderungen und Bedrohungen zu stellen und diese zu bewältigen. Gelingt uns dies nicht, erfahren wir einen fortschreitenden Verlust an Vitalität, was wiederum verhindert, dass wir ein wirklich umfassendes und befriedigendes Leben führen können.“ Peter Levine (aus dem Buch Trauma-Heilung. Das Erwachen des Tigers.)

In diesem Sinne lade ich dich von ganzem Herzen ein, deine Fühler auszustrecken und nachzuspüren, wo sich deine Lebendigkeit und Lebenslust befindet… und dem Ruf zu folgen und dich auf das Abenteuer Leben einzulassen.