Insight

Ich mag das Wort insight. Es bedeutet Einblick zu haben in etwas und hört sich gesprochen fasst so an wie inside (auf deutsch: Innen). Ich habe diesen Text insight genannt, weil ich hiermit einen kleinen Einblick geben will und auch ein Stück weit Inneres preis gebe. Ich habe den Entschluss gefasst Trauma mehr in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen, und wo sollte ich eher beginnen, als bei mir?

Traumatische Erfahrungen sind oft sehr mit Scham behaftet, deswegen wird wenig darüber gesprochen und die Betroffenen bleiben oft für sich. Allein oft schon deswegen, weil Menschen, die nicht auch ähnliches Erfahren haben, einfach nicht verstehen und nachvollziehen können wie sich Trauma anfühlt, welche Macht es über einen haben kann und mit welchen Dimensionen von Leid es verbunden ist. Darin nicht gesehen zu werden, oder die Erfahrung zu machen, dass die anderen das eigene Leid nicht aushalten können, führt noch mehr zur Isolation.

Ich habe den Entschluss gefasst einiges über Trauma zu teilen, weil ich immer wieder erfahren durfte, wie wohltuend und verbindend es ist, wenn ich mich mit meinem Schmerz zeigen kann und ich manchmal auch noch feststellte, dass ich damit nicht alleine bin. Dass es da draußen Menschen gibt, denen es ähnlich geht und die mich vom Herzen her verstehen können. Wie man so schön sagt: geteiltes Leid ist halbes Leid. In diesem Zusammenhang würde ich das bestätigen.

Es geht in diesem Text also um Schmerz und Verzweiflung, um Hoffnung und Resignation, aber auch um Heilung, Verbindung und (mit-)teilen.

Ich bin seit vielen Jahren auf dem Weg der Heilung. Begonnen hat dieser Weg für mich im September 2007, nachdem ich bei der Räumung einer Besetzung meines liebsten Schutzgebietes als Umweltaktivisitin um ein Haar ums Leben gekommen wäre. Damals wusste ich noch nicht was Trauma bedeutet und habe erlebt welche Auswirkungen es auf mein Leben und mein funktionieren oder eben nicht mehr funktionieren im Alltag haben kann. Und ganz plötzlich kamen durch das aktuelle Trauma auch Erinnerungen an meine frühe Kindheit in mein Leben. Mir flogen sozusagen völlig unerwartet auch noch Kindheitstraumen um die Ohren, an die ich mich vorher überhaupt nicht erinnern konnte. Im Fachjargon spricht man bei diesem Phänomen auch vom Komplexen (statt einfachen) Posttraumatischen Belastungssyndrom (PTBS).  Damals hatte ich noch keine Ahnung über all das was noch kommen würde, welches Ausmaß Trauma in meinem Leben eigentlich hat und wohin es mich, auch auf der Ressoucenseite, führen würde.

Nach mittlerweile 10 Jahren, in denen ich mich über die Hälfte der Zeit intensiv mit Trauma auseinandergesetzt habe, ist es immer mehr zu einem ganz zentralen Punkt in meinem Leben geworden. In den letzten Jahren jedoch vor allem immer mehr auch aus der Perspektive als Therapeutin. Ich studiere Trauma bis ins letzte Detail, versuche alle Dynamiken und Kopplungen zu verstehen und das eigene erlebte mit dem erlernten zusammen zu bringen, um nicht nur für mich Heilung zu finden, sondern diese auch auf einer ganz tiefen Ebene schenken zu können.

Als wir im Somatic Experiencing (SE) Training die sechs übergeordneten Traumakategorien durchgenommen haben, gab es einen Moment wo ich auf mein Blatt geschaut und realisiert habe, dass ich fünf davon erfahren habe. Und zwar nicht einfach sondern mehr bis vielfach. Letztlich spüre ich aber auch, dass mich genau das auch als Therapeutin ausmacht. Ich weiß wie es sich anfühlt mittendrin in der Scheiße zu sein, Todesangst zu spüren und um sein überleben kämpfen zu müssen. Ich habe selbst soviel schlimmes erlebt, dass mein Mitgefühl für andere und ihre Geschichten immens groß ist. Und vielleicht bin ich auch deswegen recht unerschrocken und kann viel für andere containen (den Raum halten).

Meine Intervisionspartnerin hat mir letztens eine Rückmeldung zu unseren Sitzungen gegeben, die mich sehr berührt hat. Sie meinte, dass sie meine Ruhe so schätzt, wenn bei ihr Gefühle hochkommen. Sie spürt, dass ich in dem Moment keine Angst habe, und sie dann auch selbst ganz anders damit sein kann. Deswegen vertraut sie mir mehr als all ihren direkten KollegInnen, mit denen sie in der SE -Ausbildung ist.

Diese Rückmeldung hat lange in mir nachgeklungen und ich habe viel Dankbarkeit empfunden. Auch Dankbarkeit für meine Vergangenheit, die mir heute vieles ermöglicht und mich immer wieder aufs Neue auch vieles lehrt. Allen voran Traumadynamiken, aber in gleichem Maße auch, welche Stärken wir aus Trauma ziehen können, wenn wir den Mut haben uns selbst zu begegnen und uns auf den Weg machen „Defizite“ in Ressourcen umzuwandeln.

Ich habe früher immer die Augen verdreht wenn mir Jemand gesagt hat, dass einem jedes Trauma auch eine Chance bietet. Damals fehlten mir die Erfahrungen, die ich in der Zwischenzeit gemacht habe, und die mir gezeigt haben, dass dem wirklich so ist.

Ich habe entdeckt, dass es in jedem Traumavortex (der Vergangenheitsstrudel in den es einen durch einen Trigger hineinzieht) ein Zentrum gibt, dass Peter Levine als „das Zentrum des Nadelöhrs“ bezeichnet. Es ist ein Ort der tiefe Ressourcen bereit hält. Ressourcen die mit der eigenen Persönlichkeit, dem eigenen Wesen zu tun haben. Es ist ein Ort an dem ganz tiefe Erfahrungen des Seins gemacht werden können und die oft durch ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit begleitet werden. An diesem Ort zu sein, ihn zu berühren und spüren weckt in mir tiefe Dankbarkeit selbst für die schrecklichsten meiner Erfahrungen! Und ich kann sehen, dass dieser Ort mir genau diese Chance bietet: aus dem Opfer da-sein hinaus zu wachsen, Frei und Selbstbestimmt zu sein, meine Kraft zu spüren und mir meine Lebendigkeit zurück zu erobern! Diesen besonderen Ort kann man nicht erreichen, wenn man nicht auch die gleiche tiefe Erfahrung auf der „roten“ Seite gemacht hat, der Seite des abgrundtiefen Schmerzes und der Angst.

In einer Intervision habe ich nach einem unglaublich mega anstrengenden Wochenende, dass ich die meiste Zeit im Traumavortex und damit in Angst und Schmerz verbracht hatte, genau so eine Erfahrung machen dürfen. Aus dem tief roten Traumastrudel genau dieses Zentrum zu finden und diesen Zustand von totaler Ruhe, Zufriedenheit, und tiefer Dankbarkeit zu empfinden.  Als ich aus meinem inneren Gewahrsein irgendwann zu meiner Kollegin aufblickte, hatte sie Tränen in den Augen und ich konnte ihr Berührtsein spüren. Es war einer dieser besonderen Magischen Momente und es war so wunderbar ihn mit ihr teilen zu können! Diese Erfahrung auf einer so tiefen Ebene machen zu können, erinnert mich immer wieder warum ich diesen Weg gehe. Sowohl für mich persönlich, als auch als Therapeutin. Denn genau solche Augenblicke schenken einem enorm viel Hoffnung und viel mehr noch: Das Wissen auf einer ganz körperlichen Ebene, dass sich das Leben auch ganz anders anfühlen kann!

Und natürlich gibt es trotz all der „Arbeit“ an mir selbst, all dem erlernten, immer wieder Berührungsmomente mit altem überwältigenden Gefühlen und Erinnerungen wo ich merke, dass mein Containment für mich selbst nicht ausreicht. Dabei geht es nicht um „aushalten“ und warten bis es vorbei ist, sondern um „halten“ - mit dem SEIN zu können was ist.

Ich spüre wie nah ich mittlerweile meinen abgespaltenen Anteilen gekommen bin und dass trotz dieser Nähe zu ihnen, das Gefühl von „ich halt das nicht aus, lieber sterbe ich, als das nochmal fühlen zu müssen!“ ausbleibt. Ein Gefühl, dass ich von früher sehr gut kenne und auch noch Anfang letzten Jahres in einem Vollkontakt mit meiner ganz frühen Vergangenheit empfunden habe. Ich spüre, wie Erfahrungen mit den „Magischen Momenten“ dazu beigetragen haben, dass das Gefühl „lieber sterben als das fühlen zu müssen“  so nicht mehr aufkommen. Es ist ersetzt worden durch eine verkörperte Hoffnung auf ein besseres Leben. Weil ich erfahren haben und tief in meinem inneren weiß, dass die „schrecklichen“ Zustände immer weniger werden und die Momente der kraftvollen Lebendigkeit und des Seins immer mehr. Und dass in dem Moment wo ich immer mehr mit dem SEIN kann, was ist, sich die Not automatisch auflöst. Dabei geht es garnicht um Annahme von dem was ist, sondern darum wirklich „einfach nur“  damit zu sein, so als würde man sich mit der Angst oder dem Schmerz an einen Tisch setzen und sich anblicken. Ohne dass ich das gut oder blöd zu finden brauche, dass sie mit mir an einem Tisch sitzen. Wir sitzen einfach nur schweigend zusammen.

Ich habe viele Jahre gebraucht um mein Containment so zu erweitern, dass ich das mittlerweile kann. Aber es ist erlernbar und das ist das wesentliche!

Ich kann mich noch sehr lebhaft an diese furchtbaren zwei Wochen erinnern, an denen ich sehr gekämpft habe um emotional zu überleben. Das Resultat dieses Vergangenheitscrashs war mein Entschluss mir drei Monate Auszeit zu nehmen. Drei Monate mit meiner Tochter auf Reisen gehen und mir nur Zeit für mich und ein selbstbestimmtes Leben zu nehmen. Am Ende ist das was überwiegt immer wieder die Selbstfürsorge, zu schauen was brauche ich gerade jetzt? Besonders dann, wenn es mir extrem Scheiße geht. Was tut mir gut und hilft mir mit dem, was mir begegnet gut klar zu kommen, wenn von scheinbar „Außen“ soviel kommt? (Dabei kam der Horror ja von Innen aus meinem Körpergedächtnis und wurde nur durch einen (kleinen, aber entscheidenden) Moment im Kontakt mit Jemandem im Außen ausgelöst).

Der Körper vergisst nichts. Und hat in überraschenden Momenten so einiges parat um lang vergangenes von einem Moment auf den anderen wieder lebendig werden zu lassen. Und plötzlich findet man sich in dem gleichen emotionalen Geschehen wieder wie damals und die Wucht der Überwältigung ist noch genauso heftig wie damals.

Weder dieser Mensch, der das ausgelöst hat, und in diesem Moment selbst in so großer innerer Not war, dass er nicht anders konnte als zu dissoziieren, noch sonst irgendetwas anderes konnte etwas dafür, dass meine ganz frühere Erinnerung an den Verlust meines Zwillingsbruders plötzlich wieder auftauchte und mich zu genau der Situation führte, als er starb und ich das Hautnah miterlebt habe.

Es gibt tief in meinem Körper die Erinnerung wie es sich angefühlt hat, meine kleinen Hände nach ihm auszustrecken in dem Versuch ihn hier zu halten und zu spüren, wie sein Leben dennoch unaufhaltsam wie Sand durch meine Finger ran, bis seine Seele sich gelöst hatte und verschwand.  Eine Erinnerung, die ich niemals vergessen werde und die durch die vielen Kontakte die ich im letzten Jahr damit hatte wieder so lebendig geworden ist.

Ich hab mich oft gefragt ob diese Wiederholung des erlebten jemals ein Ende nimmt? Und irgendwann habe ich begriffen, dass es das nur tut, wenn ich bereit bin den Schmerz voll und ganz anzunehmen.

Denn genau das ist leider der Punkt. Alles was wir abspalten und nicht haben wollen, hat die Tendenz sich zu reinzinieren, sich immer wieder auf neue eine Bühne im Leben zu suchen, wo es das immer gleiche Theaterstück spielen kann. Und zwar so lange, bis wir es annehmen, und die Anteile zu uns zurück nehmen können. Erst dann beruhigt es sich und kann integriert werden und braucht sich nicht mehr zu reproduzieren in dem Versuch gesehen und geheilt zu werden. Ich wage die dankbare Sicht auf diese „Traumadynamik“, dass unser Körpersystem auf Heilung ausgerichtet ist und versucht sich durch die Reinzinierung selbst zu heilen. Dazu braucht es jedoch auch den Willen und den Verstand des Menschen, der dieses Körpersystem bewohnt.

Ich bin seit 10 Jahren auf meinem eigenen Weg der Heilung. Ich habe viel an mir gearbeitet und mein Leben hat sich dadurch sehr verändert, besonders nochmal durch die unglaublich tiefe und wundervolle Ausbildung zur Somatic Experiencing Practitioner. Dennoch gibt es Situationen, in denen meine Kapazität (Containment)immer noch nicht ausreicht um das zu halten, was mir aus meiner Vergangenheit begegnet.

Erst letzte Woche tauchte plötzlich ein innerer Anteil neben mir auf, den ich zu Anfangs garnicht als solchen erkennen konnte. Ich habe nur gespürt wie ich weg davon wollte und sofort dissoziiert bin, wenn ich auf diesen Anteil geschaut habe. Im Laufe der Sitzung konnte ich mich diesem Anteil dann langsam und behutsam nähern, soweit, dass ich am Ende wahrnehmen konnte, das dieser Anteil zu mir gehört. Aber er ist noch zuviel für mich.

Meine hochgeschätzte Supervisorin und Wegbegleiterin hat mir an dieser Stelle einen Satz weitergegeben, den sie selbst in solch einem Moment gesagt bekommen hat: „Wenn der Schmerz zu groß ist, dann gibt es nur einen Weg: Du musst größer werden als der Schmerz!“

Und ich weiß wovon sie spricht. Ich muss weiter an meinem Containment arbeiten, damit es so groß wird, dass aus dem „ich halte das nicht aus“ ein „ich kann damit sein“ werden kann. Das gilt auch für meine Anteile die soweit abgespalten sind, dass ich mich nicht erinnern kann, an das was passiert ist, aber weiß welche Themen dahinter stecken weil mein Körper sie mir erzählt hat. Und bisher habe ich alles, was damit zu tun hat gemieden wie die Pest. Ich habe einen extra großen Bogen mit extra großem Sicherheitsabstand darum gemacht, weil ich auch damit nichts zu tun haben wollte. Weil das, was bei der kleinsten marginalen Berührung damit in mir ausgelöst wird schon viel zu viel für mich ist.

Denn letztlich bedeutet Trauma genau das: Traumatische Erlebnisse sind so überwältigend, dass sie Hilflosigkeit und Angst auslösen und die normalen Anpassungsstrategien des Menschen überfordern. Sie bringen die unvermittelte Begegnung des Betroffenen mit Gewalt und Tod und stellen daher eine Bedrohung für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit dar. Psychische Traumata sind immer von Gefühlen intensiver Angst, Hilflosigkeit, Kontrollverlust und drohender Vernichtung begleitet. (Zusammengefasst aus dem Buch: „Narben der Gewalt“ von Judith Herman)

Und seit kurzem, nach einer behutsamen ersten kleinen Annäherungen an dieses Thema spüre ich nun, und das zum ersten mal sehr klar, dass ich mich auf den Weg machen will meine verlorenen Erinnerungen zurück zu holen. Ich spüre die Sehnsucht nach Ganzheit und Heilung, eine Entschlossenheit meine frühen Anteile wieder zu mir zurück zu holen. Und damit spüre ich nun auch zum ersten mal die Bereitschaft mich dem zu stellen was war. Aber natürlich auf SE-Weise: In Megakleinen Schritten, ganz behutsam und in meiner Zeit, und immer nur soviel, wie mein System verkraften kann. Und das wohl wichtigste: nicht alleine, sondern in liebevoller Begleitung meiner Supervisorin, der ich sehr vertraue und von der ich weiß, dass sie mehr halten kann als ich und mir damit immer wieder den Weg ebnet genau das auch zu lernen.