Ihr lieben,

ich hatte einen Newsletter an euch zu einem schönen Thema angefangen. Aber dann, bevor ich ihn beenden konnte, habe ich einen Anruf mit einer schockierenden Nachricht erhalten. Und plötzlich ist nichts mehr wie es war. Und ich habe gemerkt, das Thema des Newsletters passt nicht mehr. Nicht gerade. Nicht, wo nichts in meinen Leben mehr wie vorher ist, nicht, wo ich immer wieder mit abgrundtiefem Schmerz und Trauer bin.

Tod, wenn er uns begegnet hat eine ganz besondere Qualität. Der Tod ist eines der machtvollsten Dinge, die uns im Leben begegnen können. Er bricht den Bann von allem, was uns gefangen hält.

Er zwingt uns dazu aufzuwachen. Dem Schmerz zu begegnen und das zu spüren, was wirklich wichtig ist.

Und das alles mit einer Intensität, die durch nichts anderes schlagbar ist. Wenn wir mittendrin sind, dann gibt es keinen Raum mehr für Angst, denn das schlimmste ist schon eingetreten, wenn wir Jemanden verlieren, den wir lieben. Wenn ein geliebter Mensch diese menschliche Welt und damit uns verlässt. Wenn dieser Mensch ein klaffendes Loch hinterlässt, das mit nichts gefüllt und durch nichts ersetzt werden kann.

Der Moment der Todesnachricht kommt mit so einer Wucht, dass wir ihn nie wieder vergessen. Ich hatte gerade dieses „Vergnügen“, daran erinnert zu werden wie sich das anfühlt und was Verlust bedeutet.

Ich besitze keine "Komfortzone" mehr. Alles, was ich vorher ganz deutlich als Limitierung empfunden habe, wo ich genau gespürt habe, hier hört meine Komfortzone auf und alles jenseits davon löst Angst und Unsicherheit aus. Das alles wurde weggesprengt mit einer Realität, die brutal ist.

Und gleichzeitig schafft das enorm viel Raum für neues. Für Veränderung. Dort wo etwas endet, beginnt auch immer etwas neues.

Und immer wieder, in solchen Situationen, bin ich froh, dass ich ein Netzwerk von HeilerInnen um mich habe, die mich darin unterstützen, durch die immense Trauer und den Schmerz hindurch zu gehen. Ich bin am nächsten Morgen, nach dem Nachricht erhalten habe, zum SAM Institut gefahren und wurde dort die nächsten 4 Tage liebevoll und einfühlsam empfangen und begleitet.

Mit meiner Trauer nicht alleine zu sein, sondern Menschen um mich herum zu haben, die aufgeräumt genug sind, mit mir in meinem tiefsten Schmerz zu sein und das und mich darin zu halten, war die heilsamste Erfahrung meines Lebens.

Es war ein riesen Geschenk erfahren zu dürfen, dass alle Leute, die zu diesem Zeitpunkt am Institut waren und die mich alle nicht kannten, bereit waren, mich in meinem Prozess zu begleiten.

Ich habe einwenig mit mir gehadert, ob ich den Prozess mit euch teilen will, oder nicht. Und ich habe gemerkt, wie sehr es mir in dieser Zeit geholfen hat, um die Phasen des Trauerns zu wissen und meinen Prozessen zu vertrauen. Zu wissen, das wird sich verändern und dann kommt das nächste, und auch das verändert sich wieder... Und wie unendlich heilsam es ist, sich dem Schmerz hinzugeben, in liebevoller Begleitung. Aus diesem Grund habe ich beschlossen es doch für euch niederzuschreiben.
Wer sich mit Trauer(n) auseinandersetzen mag, der kann gerne den Artikel dazu lesen.

Und weil es gerade so sehr Thema ist, findet ihr unten noch eine kleine Geschichte zu der Traurigkeit.

Und noch was zu trauern und weinen...

Ich höre immer wieder wie Menschen, die zu mir kommen sagen:" aber ich hab doch schon soviel geweint". Mal höre ich das einfach so, mal in dem Moment, wo die Trauer aufsteigt und abgewürgt wird.

Ich habe dazu etwas zu sagen.... Zum einen gibt es verschiedene Qualitäten von weinen. Es gibt ein weinen, dass feststeckt oder eines das befreit und löst, es gibt eins, wie das, was ich gerade erlebt habe, da bricht der Staudamm und alles fließt laut und ungebremst hindurch. Oder ein leises, fast flüsterndes weinen. Weinen ist nicht gleich weinen.

Und es gibt verschiedene Situationen in denen ich weinen kann...

1.) Das Weinen alleine. Ich denke, das kennen die meisten von uns.

2.) Das Weinen in der Anwesenheit von Jemanden, der meinen Schmerz nicht versteht oder nicht aushält (das kennen vor allem alle, die den Kontakt mit Schmerz in Anwesenheit anderer vermeiden)

3.) Das Weinen in Anwesenheit einer (oder wie in meinem Fall, mehrerer) Personen, die den Schmerz verstehen und einfühlsam mithalten.

Das dritte ist das einzig heilsame, und das, was sich sowenige trauen. Mir fällt gerade auf, das trauen und trauern recht nah beieinander liegen.
Und ja, Voraussetzung, dass das funktioniert, dass aus 3.) nicht 2.) wird, ist, dass es Menschen gibt, die selbst genug eigene Prozessarbeit geleistet haben, dass sie den Schmerz anderer mit halten können.
Wenn ich meinen eigenen Schmerz vermeide, dann werde ich auch den Schmerz in anderen nicht (aus-) halten. Und dann lass ich den anderen in seinem Schmerz allein. Und damit wären wir wieder bei 2.), was viel schmerzhafter ist, als 1.) Lieber alleine sein mit meiner Trauer und meinem Schmerz, als dass ich die Erfahrung mache, damit alleine gelassen zu werden. Das tut doppelt weh, denn dann habe ich Schmerz und Verlassen werden oben drauf. Das sich das total beschissen anfühlt, kann jeder nachvollziehen, der das einmal erlebt hat. Das gilt übrigens auch für alle anderen Gefühle, nicht nur Trauer!

Und deswegen ist es so wichtig, dass es Menschen gibt, die sich ihren eigenen Abgründen, ihrem eigenen Schmerz und Ängsten stellen, damit es Menschen gibt, die andere darin unterstützen können das auch zu tun.

Pema Chödrön hat Mitgefühl auf eine sehr schöne Art und Weise beschrieben:
"Compassion means knowing your darkness well enough so you can sit together in the dark with others. not as the wounded and the healed, but as equals."

Das heißt Übersetzt:
"Mitgefühl bedeutet deine eigene Dunkelheit gut genug zu kennen, damit du zusammen mit anderen im Dunkel sitzen kannst. Nicht als Geheilte und Verletzte, sondern als unseresgleichen."


In diesem Sinne wünsche ich uns allen den Mut der Dunkelheit zu begegnen, wenn sie sich zeigt.
In tiefer Demut dem Leben gegenüber,

Steph

 

Das Märchen über die traurige Traurigkeit

Es war einmal eine kleine Frau, die einen staubigen Feldweg entlanglief. Sie war offenbar schon sehr alt, doch ihr Gang war leicht und ihr Lächeln hatte den frischen Glanz eines unbekümmerten Mädchens.Bei einer zusammengekauerten Gestalt, die am Wegesrand saß, blieb sie stehen und sah hinunter.Das Wesen, das da im Staub des Weges saß, schien fast körperlos. Es erinnerte an eine graue Decke mit menschlichen Konturen.Die kleine Frau beugte sich zu der Gestalt hinunter und fragte: "Wer bist du?"Zwei fast leblose Augen blickten müde auf.

"Ich? Ich bin die Traurigkeit", flüsterte die Stimme stockend und so leise, dass sie kaum zu hören war."Ach die Traurigkeit!" rief die kleine Frau erfreut aus, als würde sie eine alte Bekannte begrüßen."Du kennst mich?" fragte die Traurigkeit misstrauisch."Natürlich kenne ich dich! Immer wieder einmal, hast du mich ein Stück des Weges begleitet.""Ja aber...", argwöhnte die Traurigkeit, "warum flüchtest du dann nicht vor mir? Hast du denn keine Angst?""Warum sollte ich vor dir davonlaufen, meine Liebe? Du weißt doch selbst nur zu gut, dass du jeden Flüchtigen einholst. Aber, was ich dich fragen will: Warum siehst du so mutlos aus?" "Ich..., ich bin traurig", sagte die graue Gestalt.Die kleine, alte Frau setzte sich zu ihr. "Traurig bist du also", sagte sie und nickte verständnisvoll mit dem Kopf. "Erzähl mir doch, was dich so bedrückt."

Die Traurigkeit seufzte tief."Ach, weißt du", begann sie zögernd und auch verwundert darüber, dass ihr tatsächlich jemand zuhören wollte, "es ist so, dass mich einfach niemand mag. Es ist nun mal meine Bestimmung, unter die Menschen zu gehen und für eine gewisse Zeit bei ihnen zu verweilen. Aber wenn ich zu ihnen komme, schrecken sie zurück. Sie fürchten sich vor mir und meiden mich wie die Pest."Die Traurigkeit schluckte schwer."Sie haben Sätze erfunden, mit denen sie mich bannen wollen. Sie sagen: 'Papperlapapp, das Leben ist heiter.' und ihr falsches Lachen führt zu Magenkrämpfen und Atemnot. Sie sagen: 'Gelobt sei, was hart macht.' und dann bekommen sie Herzschmerzen. Sie sagen: 'Man muss sich nur zusammenreißen.' und sie spüren das Reißen in den Schultern und im Rücken. Sie sagen: 'Nur Schwächlinge weinen.' und die aufgestauten Tränen sprengen fast ihre Köpfe. Oder aber sie betäuben sich mit Alkohol und Drogen, damit sie mich nicht fühlen müssen."

"Oh ja", bestätigte die alte Frau, "solche Menschen sind mir auch schon oft begegnet..."  Die Traurigkeit sank noch ein wenig mehr in sich zusammen."Und dabei will ich den Menschen doch nur helfen. Wenn ich ganz nah bei ihnen bin, können sie sich selbst begegnen. Ich helfe ihnen, ein Nest zu bauen, um ihre Wunden zu pflegen. Wer traurig ist, hat eine besonders dünne Haut. Manches Leid bricht wieder auf, wie eine schlecht verheilte Wunde und das tut sehr weh. Aber nur, wer die Trauer zulässt und all die ungeweinten Tränen weint, kann seine Wunden wirklich heilen. Doch die Menschen wollen gar nicht, dass ich ihnen dabei helfe. Stattdessen schminken sie sich ein grelles Lachen über ihre Narben. Oder sie legen sich einen dicken Panzer aus Bitterkeit zu.

"Die Traurigkeit schwieg. Ihr Weinen war erst schwach, dann stärker und schließlich ganz verzweifelt. Die kleine, alte Frau nahm die zusammengesunkene Gestalt tröstend in ihre Arme. Wie weich und sanft sie sich anfühlt, dachte sie und streichelte zärtlich das zitternde Bündel."Weine nur, Traurigkeit", flüsterte sie liebevoll, "ruh dich aus, damit du wieder Kraft sammeln kannst. Du sollst von nun an nicht mehr alleine wandern. Ich werde dich begleiten, damit die Mutlosigkeit nicht noch mehr Macht gewinnt."Die Traurigkeit hörte auf zu weinen. Sie richtete sich auf und betrachtete erstaunt ihre neue Gefährtin: "Aber..., aber – wer bist du eigentlich?""Ich?" sagte die kleine, alte Frau schmunzelnd. "Ich bin die Hoffnung."

(von Inge Wuthe, Gestalttherapeutin)